Andreas Altmann, der in Paris lebende Autor dieser exzellent verfassten Reportagen wurde in der Vergangenheit bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so etwa dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Seume Literaturpreis, dem Reisebuch-Preis und dem Weltentdecker-Preis.
Sein neues Buch enthält eine Vielzahl beeindruckender Reportagen, die er in nachstehende Rubriken untergliedert hat:
Städte mit breiten Schultern
Forderndes Leben
Leichtes Leben
Die Tapferen
Die Genies
Die Gerissene
Recken im Südchinesischen Meer
Umwege zum Ziel
In seiner vierten Reportage, er schreibt hier sehr informativ und kurzweilig über Shanghai, hielt ich auf Seite 55 inne und kennzeichnete einen Absatz mit Bleistift, um ihn jetzt in der Rezension zitieren zu können. Weshalb? Weil er meine Erachtens viel über wie Art wie Altmann denkt und schreibt aussagt.
"Ein leiser Zwischenruf. Als Reporter interessiert mich zuerst die Wirklichkeit. Von der will ich berichten. Dabei erspare ich mir meist jeglichen Kommentar. Sittliche Entrüstung halte ich für billig und gewiss überflüssig. Ich veröffentliche für Leute, die intelligent genug sind, selbst zu urteilen. Schreibende Moralapostel sind eine Zumutung. Misstrauen ist angebracht."
Altmann geht, gleichgültig, wo er sich aufhält, immer nah ran, benennt, was er sieht, schreibt Sätze wie etwa: "Wer astronomisch riesige Menschenmassen bestaunen will, der sollte nach China fliegen. Nirgend kann man sich so null und nichtiger fühlen als dort. Wer hier auf Individualismus pocht, der hat 1,4 Milliarden Gegner." Ein Ort also, an dem Narzissten und im Lebensstil eitel Abgehobene in Kur gehen könnten, um wieder Bodenhaftung zu bekommen.
Altmanns Reportagen führen ihn nicht in Idyllen, sondern an Orte wie Jakarta, einer Stadt, die bereits dem Untergang geweiht ist. Wie lebt man an solchen Punkten? Welche Erfahrungen macht ein hellwacher Reisender? Altmann lässt es uns wissen. Er ist kein Märchenerzähler, sondern ein überaus sprachbegabter Realist.
Dieser Reporter zeigt überall auch die dunklen Seiten der Reiseziele auf, ohne allerdings dem Leser die Lese- oder gar Reiselust zu nehmen. Seine Art zu schreiben, bildet tatsächlich, weil sie über das Touristikbildungsprogramm weit hinausgeht. Er vermittelt, was Reisen möglich macht: tatsächliche Horizonterweiterung.
Sehr schön und geradezu erholend ist die Reportage über Goa. Sie beginnt übrigens mit den Sätzen: "Nicht viele Gegenden auf dieser Erde können mit solchen Trümpfen prahlen. Alles ist da. Die Magie, das Verrückte, die Versuchung, das Blau der Ozeans und des Himmels, die Freundlichkeit der Goaner und ihr wundersam skurriles Kopfwackeln. Signalisiert es doch so beruhigende Zustände wie Einverständnis und das unglaubliche Versprechen, dass alles gut ist."
Auf den Seiten, die dann folgen, spürt man den Zauber, den Goa offenbar noch hat. Dass er nicht bleiben wird, ahnt man spätestens nach dieser Reportage aber auch.
Man staunt, wohin Andreas Altmann überall uns mitnimmt und freut sich über Sätze wie etwa: "In den USA nicht anders als in Russland: Hässlichkeit macht elend, Schönheit heilt. Der Hunger nach ihr hört nicht auf, wie ein Grundnahrungsmittel verlangt uns danach."
Wie meint er das? Ist das nur auf die Schönheit von Frauen bezogen? Nein! Es geht ihm um das Schöne an sich.
Paris ist umwerfend schön. Altmann weiß das. Vielleicht lebt er deshalb dort, um sich von seinen nicht unanstrengenden Reisen zu erholen, die ihn oft an eher unwirtliche Orte führen. Über solche Orte zu berichten, bedeutet aufzurütteln und Leser zum Nachdenken anzuregen, vor allem über Menschen, denen Altmann auf seinen Reisen begegnet. Sie lehren uns viel, nicht zuletzt dankbar zu sein.
Am Beispiel des blinden Fotografen Evgen Bavcar, ihm hat Altmann ganz besondere Reportage gewidmet, zeigt der Autor, was es bedeutet, die Kraft in sich zu finden, um hier zu sein und sein Schicksal zu wenden.
Maximal empfehlenswert
Helga König
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