Dieser reich bebilderte Prachtband von TASCHEN über das goldene Zeitalter des Reisens mit einer Fülle von Werbeplakaten, Auszügen aus Reiseführern, Fahrkarten, Prospekten, Speisekarten und Gepäckaufklebern präsentiert sechs Routen um die Welt.
Alle Texte im Buch sind in englischer, deutscher, und französischer Sprache abgedruckt. In der mehrseitigen Einleitung mit dem Titel "Eine Einladung zum Reisen" erfährt man Näheres zum unterschiedlichen Verständnis von Fernreisen im 19., 20. und 21. Jahrhundert und liest hier auch zu der Entwicklung der Fotografie Wissenswertes, die zunächst zu archäologischen und dann immer mehr zu touristischen Zwecken genutzt wurde. So war beispielsweise der schottische Fotograf John Thomson ein großer Fernreisender, der allein 10 Jahre in Asien unterwegs war und ein Studio in Singapur (1862-1863) eröffnete. Man staunt, wo er damals überall zu Gange war und das Staunen wird nicht geringer, wenn man liest, wo Gustav Le Gray, der offizielle Hoffotograf Napoleons III. überall mit seiner Fotoausrüstung unterwegs war.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierten bereits die meisten Infrastrukturen des modernen Tourismus. Dabei ging die Entwicklung des Hotelwesens eng mit dem Ausbau der Eisenbahn einher. Die Eroberung der Straße durch das Automobil begann im späten 19. Jahrhundert. Schon 1903 durchquerte der Amerikaner Horatio Nelson Jackson die Vereinigten Staaten mit dem Auto und bereits 1926 wurde die Route 66 gebaut.
Im Rahmen von sechs Kapiteln lernt man sechs klassische Reiserouten kennen:
-Süd-und Westeuropa
-Vom Rhein zum Schwarzen Meer
-Die nördliche Route
-Die Orientroute
-Nach Fernost und Australien
-Die Entdeckung der Neuen Welt und Afrikas
Die ursprünglich als Bildungsreise angelegte "Grand Tour" führte im 16. und 17. Jahrhundert vor allem klassisch gebildete Engländer und Deutsche nach ihrem Studium insbesondere nach Italien und Frankreich (Griechenland war damals schwer zugänglich), die Niederlande, die Schweiz und nach Deutschland. Im frühen 20. Jahrhundert hatte sich Europa dann verändert. Jetzt wurde die im Sommer beliebte Côte d` Azur amerikanisiert. Orte wie Nizza, Cannes und Monte Carlo waren nun nicht mehr in der Hand des russischen Adels. Die Zeiten der Studienreisen und der Grand Tour waren zu Ende gegangen.
Jetzt wurden die Ferienorte an der Côte d`Azur von einer kosmopolitischen, wohlhabenden Klientel besucht.
Auf alten Bildern ist zu sehen, was die Menschen damals beeindruckte. So kann man u.a. Ansichten der Strände von Brighton und Calais aber auch sehr schöne alte Fotos aus der Normandie, so etwa von Étretat um 1890 oder auch Innenansichten von mondänen Hotels und Restaurants aus jener Zeit bewundern. Impressionen von Städten wie Paris oder Monte Carlo aber auch von Sanremo und vom Lago Maggiore zeigen eine Welt, die nur sehr betuchten Menschen vorbehalten war.
Wunderschöne Aufnahmen von Venedig zu Beginn der 1920er Jahre, auch von Florenz und Neapel lassen lange innehalten. Die Bilder von Pompeji und anderen Reisezielen in Italien machen deutlich, was Reisende damals interessierte. Die teilweise wohl handkolorierten Bilder lassen erahnen, dass das Reisen damals weitaus spannender war.
Entlang der zweiten Strecke- Vom Rhein zum Schwarzen Meer- liegen einige der ältesten Reiseziele der Grand Tour. So etwa Heidelberg, die Schweizer Seen, deutsche und böhmische Kurorte. Beeindruckende Fotos aus Amsterdam im späten 19. Jahrhundert, auch von belgischen Kurorten wie Ostende bringen dem Betrachter einer Welt entgegen, die Orte in ihrer Ursprünglichkeit zeigen.
Geradezu abenteuerlich erscheinen die Zahnradbahnen in der Schweiz in jener Zeit. Gewöhnungsbedürftig wirken die Touristinnen in ihren langen Röcken bei Bergbesteigungen. Davos und St. Moritz, auch Innsbruck machen Staunen. Alsbald beginnt man Bild für Bild zu studieren, um die Idee des Reisens in vergangenen Zeiten möglichst facettenreich zu erfassen.
Es folgt die nördliche Route und hier auch kann man Bilder des alten Hamburg bewundern, bevor es weiter und weiter in den Nord geht bis nach Hammerfest, fotografiert im Jahre 1890. Eine Samenfamilie im Jahre 1920 und Fotos vom Nordfjord sind Impressionen aus einer Zeit, in der man noch nicht an den Klimawandel dachte. Dann erlebt man Helsinki im Jahre 1862, um kurz darauf in Moskau und anschließend in Jalta alten Reisezeiten nachzuspüren.
Was folgt ist der Orient. Die Bilder dieses Kapitels sind besonders interessant, weil sie in eine Welt führen, die es so nicht mehr gibt. Das gilt speziell für Tunis. Die Fotos erinnern an die Tunisreise des Malers August Macke. Bilder von Kairo aus dem Jahre 1910 erscheinen ebenso unwirklich wie die Fotos von Touristen bei den Pyramiden von Gizeh im Jahre 1905. Dann kann man u.a. Bilder von Theben bewundern und Impressionen von Jerusalem. Irgendwann gelangt man schließlich nach Petra zur Fassade des Khazne al-Firaun, abgelichtet um 1920 und darf sich anschließend in Bilder vertiefen, die den Bacchustempel in Baalbek zeigen.
Die Kultur nimmt kein Ende, auch in Asien und Australien nicht. Menschen reisten nach Bombay und Jaipur, um dort den Palast des Maharadschas zu besichtigen oder nach Benares, dem Ort wo sich die Hindus aller Kasten ihren rituellen Waschungen und Reinigungen im Wasser unterziehen. Die Chinesische Mauer, abgelichtet 1910 und alte Fotos aus Neuseeland erschöpfen den Betrachter nahezu. Auch Reisen durch einen dicken Bildband können anstrengend sein, wenn stundenlanges Staunen angesagt ist. Man muss in Etappen reisen. Eindeutig.
Was noch?
Reisen nach Afrika und in die USA. Beeindruckend sind die gefrorenen Wasserfälle in Kanada um 1880. Gibt es so etwas heute in Zeiten des Klimawandels noch immer?
Traumhafte alte Fotos von Yellstone aus dem Jahre 1910 und den Geysiren dort, auch Fotos von Honululu demonstrieren wie die vielen Fotos anderer Orte, dass es ein kollektives Gedächtnis geben muss, das dem Betrachter suggeriert, alles schon mal bereist zu haben, irgendwann vor langer Zeit.
Ein grandioses Buch. Tolle Bilder und sehr gute Bildbeschreibungen
Überaus empfehlenswert.
Helga König
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